Wie jedes Jahr startet die Marketing Community auch in 2020 mit neuen Ideen, ambitionierten Plänen und viel Tempo in die nächsten 12 Monate. Das Spektrum der Themen ist ebenso vielfältig wie die Liste der Kanäle und Disziplinen. Ganz oben auf der Agenda stehen dabei unverändert Projekte rund um die Umsetzung von User Centricity, Hyper-Personalisierung und die Einbindung von AI in Marketinganwendungen. Alles dreht sich um den Nutzer und um relevante, individuelle User Experiences, die medien- und kanalübergreifend abgestimmt sein sollen.

In diesem Zusammenhang möchte ich gerne ein Thema auf die Agenda bringen, das für die Umsetzung und den Erfolg von User-Experience-Projekten in 2020 und darüber hinaus eine wichtige Rolle spielt in der Regel aber weit weniger ernsthaft diskutiert und angegangen wird wie z.B. technologische oder kreative Themen: Ich spreche von der Marketingorganisation.

Es ist inzwischen weit verbreiteter Konsens, dass User Centricity und Personalisierung für Verbraucher und Anbieter Nutzen stiften. Der (potenzielle) Kunde hat mehr Spaß daran, dass ihm Produkte präsentiert und promotet werden, die seinen Affinitäten entsprechen und die ihn auch mal überraschen, was zu mehr Engagement führt und am Ende die Kaufwahrscheinlichkeit und den Wert des gekauften Warenkorbs erhöht. Ein „Easy Win“ also für uns Marketer und das Ergebnis unserer Unternehmen. Nebenbei bemerkt: Der Ergebnishebel ist nicht zu verachten. Die letztjährige Boston Consulting/Google-Studie zum „Business Impact of Personalization in Retail“ belegt, dass Unternehmen bei personalisierten User Experiences 15% mehr Umsatz erzielen, bei kanalübergreifender Personalisierung sogar bis zu 40%.

Grafik 1: Umsatzzuwachs durch Personalisierung

Gerade digitale Vorreiter wie Netflix oder Spotify – beide werden in diesem Zusammenhang immer gerne angeführt, und das zurecht! – machen einen extrem guten Job bei dem Thema Personalisierung und setzen Benchmarks. Todd Yellin, Vice President of Product bei Netflix, erklärt, auf welchem Level sein Unternehmen Personalisierung umsetzt, und gibt uns dabei zeitgleich ein Gefühl für den Begriff “Hyperpersonalisierung“: “Our personalization enables us to create more than 250 million tailored experiences to delight each user every single time they enter the platform“. Rein numerisch sind das also mehr Experiences als Netflix derzeit zahlende Nutzer hat. Ein Musterbeispiel für konsequente Nutzerzentrierung und Personalisierung. Ich bin sicher, die meisten Marketer würden gerne über einen ähnlichen Reifegrad ihrer User Centricity-Projekte berichten.

Was müssen wir Marketer tun, um User Centricity und Hyperpersonalisierung so gut umzusetzen, wie es die Role Models seit Jahren tun? Und warum scheitern so viele Unternehmen an der Umsetzung, wo doch Technologie eher zur Commodity wird?

Ich bin der Überzeugung, dass die Antwort im Wesentlichen in der eigenen Organisation liegt. Die meisten Marketingorganisationen entsprechen noch immer dem Schema von unabhängigen Kanälen und Touchpoints und sind größtenteils ungeeignet, personalisierte Marketingprozesse umzusetzen. Sie sind gefangen in Strukturen des „Traditional Marketing“, wie die untenstehende Grafik verdeutlicht. Wichtige Verantwortlichkeiten, die die „Modern Marketing Leader“ bereits in der Marketing-Organisation verankert haben, sind nicht geklärt und Fachabteilungen sind entweder noch nicht etabliert oder anderen Bereichen zugeordnet. In den meisten Fällen sind funktionsübergreifende Prozesse, die zu ähnlich erfolgreichen Ergebnissen wie bei Netflix führen, nicht ausreichend vorhanden.

Grafik 2: Marketing-Organisationen der digitalen Leader

Auf dieses fundamentale Problem weist auch die bereits erwähnte Boston Consulting /Google-Studie hin. Deren Experten haben ermittelt, dass das hier beschriebene Problem besonders bei größeren Unternehmen auftritt. In diesen ist die „unzureichende funktionsübergreifende Koordination von Prozessen das größte Hindernis bei der Umsetzung von Personalisierung“ (BCG The Next Level of Personalization in Retail 2019).

Was läuft da falsch bei vielen Unternehmen?

Ich denke, dass in den meisten Organisationen die Sichtweise des Nutzers bzw. Kunden nicht ausreichend abgebildet wird. Der Nutzer nimmt eine Marke oder ein Produkt immer einheitlich und übergreifend wahr. Wenn ich zum Beispiel ein Auto kaufen möchte und mich für ein Modell einer Marke interessiere, dann erwarte ich – unterbewusst – eine konsistente Interaktion dieser Marke mit mir, die mein gezeigtes Interesse optimal, zu jeder Zeit, auf jedem Kanal, abbildet.

Die Realität sieht aber meistens so aus, dass (a) eher in Zielgruppen als in individuellen Nutzern gedacht wird, (b) nach wie vor verschiedene Abteilungen innerhalb der Marketing-Organisation verschiedene Kampagnen für dieselben Zielgruppen aufsetzen, die nicht aufeinander abgestimmt sind, was (c) dazu führt, dass der Nutzer sein Interesse nicht in der Markenkommunikation wiederfindet. Das Ergebnis: Personalisierung kann nicht oder nicht richtig umgesetzt werden, die User Experience kann nicht optimiert und Umsatzpotenziale können nicht ausgeschöpft werden.

Was das bedeutet:
CMOs müssen heute viel eher darüber nachdenken, wie die Unternehmens-, aber auf jeden Fall die Marketingorganisation nutzerzentriert ausgerichtet werden kann, damit die Daten und Technologien, die dem Unternehmen zur Verfügung stehen, auch den erwarteten Return on Invest generieren. Das Erfolgsgeheimnis liegt weniger in der Technologie als in übergreifenden, abgestimmten Prozessen und der funktionalen Organisation.

Ein guter Vorsatz für 2020 könnte also heißen: Die eigene Organisation, mit sämtlichen Skills und Prozessen, auf den Prüfstand zu stellen und mit den Anforderungen, die sich aus Nutzerzentrierung und Personalisierung ergeben, abzugleichen. Wer die Erkenntnisse aus dieser Übung danach auch ernsthaft umsetzt, der schafft die Basis für mehr Marketingeffizienz und ist „digital ready“ für die nächsten Evolutionsstufen, die Technologie, Daten und AI uns bringen werden.

Foto: Jared Erondu | Unsplash